top of page

A dream of it, we offer you

  • Autorenbild: irmabelic
    irmabelic
  • 20. Juli
  • 5 Min. Lesezeit

„Kannst du Eierschwammerl brauchen?“

„Ja, Mutti, gerne!“

„Wie kommst Du zu ihnen?“

„Ich komme sie morgen früh bei Dir abholen.“


Der nächste Tag beginnt wie immer. Die Zeiger des Weckers rutschen auf sechs Uhr. Der Wecker läutet. Sich strecken, blinzeln, wo bin ich? Auf die Beine kommen, Kaffee kochen in der Bialetti, Milch guirrllen, ein Butterbrot streichen, einen Blick in die Zeitung werfen , die Zeitung weglegen vorm Wegwerfen ein bisschen später.

Guten-Morgen-Gespräch mit dem Liebsten.


Auf das Handy blicken.

„Oh, ich muss mich beeilen.“


Zähneputzen. Wie ist das Wetter? Anziehen.

Schlüssel suchen, Schuhe anziehen. Tasche schnappen.

„Bis Abends dann!“

Bussi.


Zum Bus spazieren und sich freuen, denn Anne ist gut in der Zeit.

Warten an der Bushaltestelle, gefühlt sollte der Bus gleich da sein. Wie spät ist es?

Ein Griff in die Tasche. Darin Wühlen! Das Handy ist nicht auffindbar. Aufstehen vom Wartebankerl, die Tasche ausräumen, die Hosentaschen abklopfen, es ist wahr, das Handy liegt wohl am Küchentisch. Leichte Beklemmung.


Der Bus sollte bestimmt schon da sein. Blitzschnelles durchdenken der Tagesplanung. Akzeptieren, dass heute alles anders laufen wird.

Es ist mehr unbewusste Gewissheit, denn strategische Planung. Zum Umkehren ist es auf jeden Fall zu spät.


Der Bus kommt nicht. Anne findet einen Hinweis hinter ihrem Rücken, aufgeklebt auf dem Fahrplan. ,Wegen einer Baustelle ist die Haltestelle verlegt, außerdem fährt ein Einschubbus‘.

Anne ist jetzt hellwach. Dieser Tag bleibt also analog. Sie entschließt sich diese Tatsache zu akzeptieren, heute ist kein verlassen auf digitale Unterstützung möglich. Selbst schuld.


Sie sucht die Ersatzhaltestelle und hofft auf einen Bus in Richtung Stadtzentrum. Was tun mit den Händen? Anne pflückt Blumen am Wiesenrand. Für die Mutti. Der Bus kommt nach geraumer Zeit.


Umsteigen am Verkehrsknotenpunkt in der Innenstadt, Anne sucht eine Uhr. Die gibt es hier tatsächlich noch. Auf einer Säule mitten am Platz, schon lange nicht mehr beachtet.

Der Bus der Linie 40 wartet auf seinem gewohnten Platz, seit 35 Jahren! Anne fragt sich, warum ihr das plötzlich auffällt und steigt ein.


Sie bekommt eine Sitzplatz, ganz hinten, automatisch angesteuert, wie damals als Kind auf der Heimfahrt von der Schule. Zurückversetzt. Lustiges Gefühl, das Blumensträußchen in der Hand. Ihr blickt schweift durch den Bus, zu den Gesichtern, nach draußen durch das Fenster. Alles ist bekannt, schon so lange, und doch ganz anders.

An jeder Haltestelle Erinnerungen, bekannte Gefühle.


An der nächsten Haltestelle ist immer die beste Freundin zugestiegen. An das  Gefühl der Aufregung erinnert sich Anne, wenn die Freundin einmal nicht zustieg, den Bus verpasst hat. Sie erinnert Gespräche, die so notwendigen, über Angst und schlechte Noten, bald diese beichten müssen, über Liebesglück und Schwärmerei, Geheimnisse.


Der Bus fährt am Kino vorbei. Erinnungen ans Kino, zum ersten Mal allein mit dem ersten Freund. ,Xanadoo‘, dann Liebeskummer. Drama.


Bald kommt das Geschäft mit Zuckerwaren. Damals schnell rausspringen, Erdbeerschnüre kaufen um Schillingpreise, den nächsten Bus erreichen, in 8 Minuten auswählen, sprechen, in der Schultasche ganz unten verstauen, dann merkt es keiner zu Hause! Das Geschäft gibt es nicht mehr , da gibt es jetzt Kebap. Wo kaufen die Kids heute ihr Zeug? Schade, irgendwie.


Hier aussteigen oder einen Stop später? Je nach Bedürfnis nach Trödeln, auch wie damals. Anne entscheidet sich fürs Trödeln. Auch noch alles fast wie früher. Der kleine Park ist noch da. Andere Menschen. Am Eck war ein ,Tröpferlbad‘, Eintrittspreis 3 Schillinge. Anne erinnert sich an einen Wutanfall im rosa-weiß gestreiften Frotteebademantel und eine hilflos und peinlich berührte Mutter - Anne wollte noch nicht heimgehen - den müden und deshalb ebenso brüllenden kleinen Bruder, Gezerre und Geschimpfe. Milde lächelnde andere. Anne muss schmunzeln. Die arme Mutter, damals.


Die so begehrte Trafik gibt es noch! Zuerst wöchentlich die ,Mickey Mouse‘ gekauft, oder ‚Ybbs’, später ,Bravo‘ und den ,Rennbahnexpress‘, dazwischen - oder noch später? - , Mädchen‘. Immer vermeintlich heimlich. „Man kann das Taschengeld auch für etwas Gescheites sparen.“

„???“


Anne sieht sich aufgemascherlt mit Wimperntusche, enger Jeans, Blouson in blau-metallic, ebenso die winzige Handtasche, quer über die Schulter, darin ein Kugelschreiber und ein Notizblock. Statt Schultasche, Hefte, Bücher - wie uncool! Anne fühlte sich erwachsen, geometrische Ohrgehänge. Lippolds. Das höchste der Gefühle. Die 80er. Nagellack in Pink wäre ein Traum gewesen. Leider nicht erlaubt.

Anne sieht sich stolpern, damals.Sie fiel über die Bordsteinkante vor der Trafik, alle haben es gesehen, Wasser in den Augen. Scham! ,Boden, tu‘ dich auf und verschluck‘ mich!‘

1970er
1970er

Anne ist fast angekommen bei ihrer Mutter, nähert sich dem Wohnblock ihrer Kindheit, passiert den Spielplatz. Noch immer dieselben Turngeräte. Sie sieht sich hängen am Bogengerüst, im froschgrünen Turnanzug. Unbeschwerte Zeit, Freundinnen, Barbiekoffer und Barbiegewand. Tauschhandel. Heimlich, schon wieder! Das Zeug war teuer.


Um die Ecke, nicht mehr vorhanden, gab es den Gemischtwarenhandel. Riesig und paradiesisch in der Erinnerung aus den Augen des Kindes, in Wahrheit winzig, aber vollgestopft mit allem, was so gebraucht wurde. Anschreiben lassen dürfen. Die Mutter hat wöchentlich bezahlt. Eis, ,Sunkist‘, ,Dreh und Drink‘ an langen Spileplatztagen. Für die Mutter den Einkauf erledigen dürfen anhand der Einkaufsliste, selbst geschrieben. Stolz. Wichtig. Den älteren Buben großräumig ausweichen oder warten, bis sie weg waren. „Wo warst du denn so lange?“. Sich nicht erklären wollen. Das verstand die Mutti nicht. Sie versteht es noch immer nicht.


Anne steht jetzt vor dem Hochhaus, blickt hinauf zum Fenster im 14. Stockwerk. Die Mutti winkt herunter.

Als würde gleich der Schlüssel von oben herunter fallen, eingewickelt in ein Geschirrtuch. Der Schlüssel, des Öfteren vergessen und einfach nachgeworfen.

Oder den Schlüssel überhaupt miteinander in der Wohnung vergessen haben, wenn die Mutter einmal mit auf den Spielplatz begleitet hat, um mit den anderen Mamis zu tratschen. Selten zwar. Dann einen Schraubenzieher beim Hauswart ausborgen - mit dem Aufzug rauf, Schloß abmontieren, um in die Wohnung zu gelangen, allein den Schraubenzieher ins Erdgeschoss zurückbringen . Zu Fuß die Treppen hinunter, dann wieder hinauf, durchschnaufen im 7. Stock, anläuten im 11. bei der Freundin, nachfragen ob sie später zum Spielen kommen darf, dann weiter.

„Wo warst du denn so lange?“. Das weiß sie doch!


Anne fährt mit dem Aufzug hinauf zur Wohnung der Mutter, die Mutter steht schon vor der Türe. Wie damals! Gemischte Gefühle: kindlicher Ärger, Dankbarkeit, Freude. Sie ist eine aparte ältere Dame, die Mutter. Innehalten für einen Augenblick.

„Du bist schon da?“ und wahrlich glänzende Augen. Alles wie ewig und doch ganz anders. Freundin!


Anne möchte auf die Uhr sehen. Die Freundin wird wieder mehr Mutter im Laufe des Gesprächs. Zeit zu gehen. Kein Handy, Anne zuckt unmerklich und nur für sich selbst mit den Schultern. Die Eierschwammerl sind schon geputzt und verpackt zur Übergabe. „Das mache ich doch gerne.“ Selbstverständlich!

„Danke!“

Bussi und kurz drücken.



Der Akku des Handys zu Hause ist leer. Manchmal noch, mit bloßen Händen, möchte Anne die Welt retten.


Titel: Textzeile aus „Xanadoo“, Olivia Newton John & The Electric Light Orchestra, 1980








Kommentare


bottom of page